Auszüge: 

Stream of Abundance or the disclosure Treap

 

Wir gingen auf die Reise ohne uns,

dort wurde unser Herz erweckt ohne uns!

Jener, der, dem Mond verwandt,

sein Gesicht vor uns verbarg,

spiegelte sein Angesicht in unserem ohne uns!

Als wir in der Trauer für den Freund

unser Leben ließen,

gebar uns die Trauer um ihn ohne uns!

Immerfort sind wir trunken ohne uns,

immerfort sind wir freudig ohne uns!

Ihr braucht euch unser nicht zu erinnern;

wir selbst sind das Gedenken ohne uns!

Die Türen waren alle für uns geschlossen;

als sie sich öffneten,

gaben sie den Weg frei ohne uns!

(Ǧalāl ad-Dīn Muḥammad Rūmī - Aus dem Diwan)

 

Ich weiß noch, wie ich tanzte, den ganzen Tag tanzte; eine gärende Blase war mein Reich, mit zehntausend Buchten, Wiesen und Vortices. Mein Rauschen, das waren mandelwogende Hügel, das eifrig, die überall tippelnden Schritte trank. Durch alle Winkel und Enden flossen, tummelten sich zarte, tolldreiste Klänge… und… sie ließen Blüten mit mir wachsen: Hedera, Vitis, Mandragora… ich sprang mit dem rechten Fuß zuerst nach vorne… sprang vorwärts und rückwärts… immerzu… 

[Seitenlange Textauslassung]

Dann sehe ich, was mich aus meiner geliebten Balz gerissen hat. Es ist die berüchtigte Freibeuterfamilie, die mit ihrem gleichmütig stürmenden Flaggschiff das Land in Angst und Schrecken setzt [...] Eine raue, wetterhartgegerbte Hand entdeckt mich, greift nach mir und reißt mich auf. Unwissend, was mit mir geschehen soll, stehe ich schon mitten unter ihnen - einer besorgniserregenden Horde von WüstlingInnen, die seit Urzeiten durch die Kontinente streifen und jedes Fleckchen, das sie betreten maßlos zu rütteln verstehen. Wie ich so dastehe und mir die einzelnen knittrigen Gesichter genauer betrachte, frage ich mich, ob sie mich töten oder zu ihrem Regenten konsekrieren wollen. Nichts von allem. Wieder. Mir wird lediglich ein Käscher gereicht, mit dem es wohl gilt Menschen zu fangen, und sie, sie flegeln sich wieder an ihre Arbeit und schreien und singen dabei. Aber ich hinke auf dem Deck umher, mit diesem riesigen, albernen Käscher in den Fäusten und weiß nicht, was zu tun ist. Als ich mich gerade ermattet und verzweifelt auf den Boden lege, meine Fühler phlegmatisch von mir strecke, kommen vier ernste Gestalten auf mich zugetreten. Sie positionieren sich um mich wie die Brigade eines japanischen Stoßtrupps und stieren mich markerschütternd an. Erst verstehe ich nicht, fühle mich wie ein unschuldig Verurteilter, aber dann, dann beginne ich zu begreifen…

Es sind die vier gesalbten Märtyrer, die an meiner Wiege stehen: Tom Tripper, Sarah Syphilis, Feigenwarzen Ferdi und Helga HIV. Ich traue meinen Augen kaum, SIE (Senior Inventors of Eschaton), stehen an meiner Seite. Verkörpern, manifest, die gestriegelte Unzucht, die wir, all jene sich immer wieder gegenseitig in Schutzhaft nehmenden Gesellschaften, in diesem ständigen Fortlauf der Beschränkung ertragen müssen. Ich stehe auf und verneige mich, SIE nicken bloß. Nach einigen kurzgestauchten Zeithäppchen, in denen ich krampfhaft versuche mich ihrer würdig zu erweisen, es mit Tanzeinlagen, Selbstgeißelung, Euphorie und sogar Würde versuche, tritt mir Ferdi gegen das Schienbein. Sarah gibt mir einen kräftigen Stoß auf den Rücken und Tom rammt mir seine spitzhackigen Schuhe in die Eier. Als ich dann schon auf den Knien liege und dankbar wimmere, neigt sich Helga über mich, die geheime Balustrade. Mit unwirscher Mimik reißt sie mir den Käscher aus den Händen und zerbricht ihn auf ihrem nackten Schenkel. Mir tränen die Augen, händeringend bitte ich um eine Antwort, flehe sie an, mich nicht einfach so liegen zu lassen. Doch anstatt mich zu trösten, reicht sie mir, noch immer mit dieser entsetzlichen Miene auf den Wangen, einen Stab, einen piniengekrönten, einmeterdreiundvierzig langen, efeubewachsen Stab... Ich weiß wieder, was zu tun ist und die Epiphanien liegen klar vor unseren Augen. 

Gleich Môséh strecke ich meinen Arm, samt seinem prunkvollen Zepter in die Höhe und schreie: »Waw, vau, wav, vau! Godog, I praise you old divinity: Kyrinos«. Die Besatzung des Schiffes kommt angerannt, sieht neugierig und ängstlich zu mir auf. Ich lasse mir Zeit, lasse sie diese prometheischen Sekunden genießen, bevor ich unsere prophetische Stimme gegen sie schmettere: »Ja! Wir ficken uns frei. Ein ungezwungenes Drauflosvögeln, ein gehaltvolles Stöbern, ein puritanisches Festmahl, die Eucharistie hydra(n)tisierter Leiber. Acht heilige Lippen und ein glühender Messdiener, darüber: intersexuelle Engel, spielende Sprösslinge, stetige Jubelschreie und ihr, ihr Feixenden, mit euren martialisch fallenden Haaren, euren spitzen Ohren und ruppigen Schwänzen, ihr, ewig betrunken Galoppierenden, Sänger und Weisheitskünstler, ihr, meine lieblich Rasenden, mit euren freien Brüsten und Pantherfell bedeckten Bäuchen.« Ich halte inne, um zu atmen, scheinbar sind sie nicht ganz überzeugt von meiner Hurenwürde. Ich muss ihnen die überragende Potenz meiner Erkenntniskraft deutlich machen! 

»Wer ist es, der die Welt auf seinen Schultern trägt? Wie dem alten Atlas ist es uns auferlegt, die ganze Last unserer schweren Himmelsfesten zu schultern. In steter Abgeklärtheit trachten wir danach ›unserer‹ Schuld gleich einer unintelligiblen Krankheit, einem ›selbst‹ verantworteten Übel oder einer vermeintlich klaren Delegation gegenüberzutreten. Hinter jeder Ecke scheint dieser Entscheidungswahn zu lauern. Aber der einzig schlüpfrige Torbogen besteht darin, die unumstößliche Affirmation zu finden! Wir sehen, die Welten, dissonante Intermezzi, diametrale Lutscherraubzüge...

Sub sigillo confessionis: Wir Dissidenten, wir seien ins kosmologische Wohl verkehrte Schausteller. Wir inkarnieren uns in jede Position, werden mal Beamte und mal Penner sein, Kioskwärter und Prostituierte, Manager und Soldaten, Künstler und Genetiker, Models und Psychologen, Anwälte und Forensiker, Dealer und Schreiner, Leistungssportler und Eheleute, Klempner und Mütter, gute Bekanntschaften und Ärzte. Eines Tages aber, wenn die Geschöpfe nach einer mehr oder minder langen Weile vertrauensvoller Kontaktstabilität wieder einmal ganz gewöhnlich zu uns kommen und ein paar Zigaretten oder Radkappen kaufen wollen, ein nettes Gespräch, einen kleinen Fick, einen Rat bezüglich ihrer Steuerabrechnung, ihrer Eheprobleme, ihrer Bewerbungsunterlagen oder Lebensführung haben möchten, werden wir ihnen zack gestehen, dass sie einen wunderschönen Arsch haben, aber unglaublich biedere Falten, dass sie aus Lemuria stammen und sich in dieser Existenz bloß verirrt. 

Oder man wird sie, während ihr ihnen gerade die Kinokarten überreicht, sie über ihre Rechte aufklärt, ihren Unterarm punktiert, bitten sich auszuziehen, eure Mumu zu betatschen, die Zunge um eure zu wickeln oder sie fragen, ob die Zeit stehen bleiben soll oder sie gewachsene Hörner wünschen, ja, man wird sie plötzlich Erschrecken, um ihr gesamtes Vermögen bitten, ihren Mündeln Dope und Dildos schenken, sie grundlos anschreien, liebevoll zärteln, sie aufdringlich nach Gründen fragen, ihnen zeigen, dass man sich auch auflösen kann und verständlich machen, dass sie aus fremden Sphären stammen, dass jeder, wir alle »Ausländer des Daseins« sind… 

Und nach einiger Zeit, ihr werdet sehen meine trunkene Horde, werden sie Tweifla, Skeptikoi, werden sie sich fragen, ob überall Schausteller sind, ob sie selbst nicht immer schon, mit all ihrem putzigen Trotz, ihrer innigen Verärgerung, ihren grotesken, aufoktroyierten Ansprüchen, ihren flirrenden »Wahrnehmungen« und »Empfindungen« Komödianten sind, werden sie euch fragen, ob überhaupt irgendeine Szene ihres Lebens »ernst« gemeint war, ob ihr Kfz-Mechaniker oder Gutachter, ihr Freier oder Freund, auch bloß Schausteller sind. 

Sub specie aeternitatis: Ersetzen wir den züchtigen Atlas, Träger bloß eines Kopfes, Schöpfer zweidimensionalen Eigentums, Rasterfunktionär und Tautologienkonstrukteur, durch den großen Weltenficker! Wo Ersterer sein Leben damit verbringt, von den Lasten des Tragens nicht zu Boden zu brechen, verpassen wir der Welt einen guten Fick. Wie ein Köter seien wir ihr, der einmal an ihr Bein gesprungen sich nicht abschütteln lässt, so sehr sie uns auch schleudern mag! Wir ficken uns durch, radikal, mit einem omnipsistischen JA, das über unsere zügellosen Zungen rollt. 

Und dann werden wir sehen, dass alles ein Maskenball ist, ein groß aufgezäumter, mit richtig echten Gefühlen und so, der einfach immer da ist, und dass er nichts ist, als Lösen und Binden, Streiten und Ficken, Reifen und Feiern! Denn die grobe Wichtigkeit der Welt, unserer Himmel, ist ihr Gewicht, dies nicht erträgliche Übergewicht! Sie ist unsre Last, die uns stets zu schaffen macht, uns knebelt und kettet und niemals verzeiht. Aber bald, wird alles im Blühen begriffen sein... ihr werdet sehen, meine Lieben, ihr werdet sehen werden.« 

Die Freibeuter scheinen mich endlich verstanden zu haben, in einer röhrenden Symphonie werfen sie ihre Waffen und Geschlechtseile in die Höhe, hissen die Segel auf volle Fahrt und küssen und herzen mich. Entschlossen gehe ich auf zum Flaggstock, hohle das alte, ausgediente Tuch vom Mast und übergebe es dem Wellenbrand. Unserer Meute reiche ich ein anderes Zeichen, Thyrsosstab und Weinkelch auf perlmutternem Gewebe. Ich dippe das keusche Stigma und läute einen anderen Zeitraum ein: »Schlagt das Cymbalum, Mitseinsfreunde, entlockt der Lyra ihr zärtliches Spiel, hämmert mit dem ungestümen Trommeln eurer stolzen Brüste auf dem Tympanon, lasset die Flöten und Lauten erklingen, erhebt eure schallenden Stimmen, donnert die Kelche und Pokale zusammen, stellt euch nach, ein ander - und begattet die ganze halbtote Welt!« 

Und ich, ich beginne wieder zu taumeln… es wird wolkig um mich herum… ich… ich rieche den Ozean, den alten, alten Ozean… diese... meine… salzfriedenden Gewässer…

 

(Auch als Video zu hören/sehen)